Hannes Radeck – Patissier des Jahres 2021

Der Koch im Nachspeisenhimmel

Mit viel Fleiß, Bodenhaftung und einem besonderen Talent für Geschmack in den Nachspeisenhimmel oder: wie der Lockdown die Sterneküche verändern wird.

Er ist der Umami-Typ unter den Patissiers. Vielleicht liegt das daran, dass er eigentlich mal Koch gelernt hat. Vielleicht auch, weil er die einfache gute Hausmannsküche seiner Mutter so liebt und schon früh wusste, dass er seinen kreativen Twist am besten in der Spitzengastronomie ausleben kann. Hannes Radeck, 29, ist Patissier des Jahres 2021. Sein Ort des Schaffens ist das Ox&Klee von Daniel Gottschlich (zwei Sterne im Guide Michelin) im Kölner Zollhafen. Aber der Reihe nach. 

Gelernt habe er, sagt Hannes Radeck, im Maritim Hotel in Köln, klassische Kochausbildung. 
„Ich hab aber schnell gemerkt, dass ich danach eher in Richtung Spitzenküche möchte. Ist dann halt doch was Anderes als so ein Hotelbetrieb. Das Spiel mit Aromen, die Möglichkeit Neues auszuprobieren, die Experimentierfreudigkeit ist da einfach anders. Passt mehr zu meiner Kreativität“, sagt er. Deshalb sei er zu Sven Messerschmidt gegangen, dem damals jüngsten Sternekoch in Deutschland. „Da habe ich so derartig viel gelernt. Sven Messerschmidt war und ist für mich ein echtes Vorbild – fachlich wie auch menschlich.“
Nach anderen Vorbildern gefragt nennt Radeck sofort seinen Vater. Der sei Handwerker gewesen und habe ihm immer wieder gezeigt, wie man mit ganz viel Willen und Anstrengung sehr viel möglich machen kann. 

"Du kannst das besser? Dann mach!"

Okay, aber wird man nur mit viel Willen als gelernter Koch zum Patissier des Jahres?
„Na, ja, vielleicht nicht direkt, aber Engagement und Selbstdisziplin gehören auf jeden Fall dazu. Also, geprägt hat mich sicher erstmal die Küche meiner Mutter. In meiner Kindheit gab‘s regionale rheinische Hausmannskost – einfach, gut und lecker. Das mag ich noch heute. Gutes Essen, das einen glücklich macht oder, besser gesagt, an das man sich gerne erinnert. Das muss keine Sterneküche sein. Das geht ganz einfach – ein gutes Schnitzel im richtigen Moment ist einfach ein gutes Schnitzel – das passt und das behält man im Kopf. Ich wollte also Koch werden. Nach der Ausbildung war ich zuerst im Gut Lärchenhof, als Entremetier und kurz drauf als Saucier. Dann bin ich mit ins Auerhahn von Messerschmidt, bis zur Schließung 2019. Danach habe ich mich im Bayleaf [Anm.d.Red.: Restobar in der unteren Etage des Ox&Klee, Inhaber ebenfalls Daniel Gottschlich] als Koch beworben und bin genommen worden. Nach ein paar Tagen hab ich ganz frech gesagt: „Das Dessert kann man aber besser machen“. Okay, meinte Daniel, dann mach es besser. Ab dann war ich für die Nachspeisen im Bayleaf zuständig.“

Also im richtigen Moment an der richtigen Stelle gewesen?
„Ja, war sicher etwas Glück dabei. Aber ich war mir auch sicher und fest entschlossen, dass ich das kann. Da hab ich natürlich nochmal ordentlich lernen müssen. Als Saucier kennst du zwar die Aromatik und das Spiel mit vielen Zutaten, aber Pati ist eben doch ganz anders. Das lief von Anfang an sehr gut und die Gäste waren begeistert. Als dann die Patissier-Stelle im Ox&Klee frei wurde, hieß es: „willst Du nicht zu uns nach oben kommen?“ Tja, und damit ging die Lernerei erst richtig los. Damals, noch mit einem Stern, war das Ox&Klee schon ne Adresse. Als der zweite Stern dazukam, hieß es natürlich auch für mich, nochmal ne Schüppe drauzuflegen. Ich will nicht unbedingt besser sein als andere, aber ich will besser sein als gestern!“

Wie ging es dann weiter?
„Ich habe mir noch mehr internationale Fachliteratur besorgt, noch mehr Videos angeschaut, um mehr über „Kochphysik“ zu lernen, oder warum etwas so oder so funktioniert. Ich habe mich noch intensiver mit Fachkollegen ausgetauscht, bin morgens noch früher in die Küche gekommen und abends noch länger geblieben, um auszuprobieren, zu machen und zu tun  – immer mit „viel Willen und Anstrengung“ – wie mein Vater sagte. Nicht ganz einfach als Morgenmuffel und „Feierbiest“.“

Radeck ist der Umami-Typ unter den Patissiers

Mittlerweile hast Du natürlich Deinen eigenen Stil. Schaust Du immer noch in die Bücher oder bei Kollegen?
„Klar, ich lerne immer noch jeden Tag dazu. Besonders bei den Vorreiter der modernen Patisserie, wie Rene Frank, Christian Hümbs, Andy Vorbusch und natürlich Jordi Roca.“

Der Gault Millau beschreibt Deine Desserts als „auf den ersten Blick fast schlicht“, dann aber „von hoher Präzision, großer geschmacklicher Kraft und Finesse“. Wie würdest Du selbst Deinen Stil beschreiben?
„Hm (grinst), am liebsten ganz einfach und am liebsten nach dem Motto: „Kaffee – Mise en Place – Schicken – Kölsch“. Aber da steckt natürlich mehr dahinter. Ich glaube, da ich nie wirklich die klassische Patisserie gelernt habe, gehe ich mit einem ganz anderen Blickwinkel an die Desserts ran. Was man vor allem am Geschmack erkennt. Ich schaue natürlich auf die Gangfolge und das, was meine Kollegen machen. Wir nennen das hier Experience Taste. Alle sechs Geschmacksrichtungen süß, salzig, bitter, sauer, umami und fett ziehen sich von Anfang bis Ende bei allen Menüs und Gerichten durch. Jeder Gang ist eine Geschmacksreise. Aber ehrlich gesagt, mache ich dann doch immer irgendwie mein eigenes Ding. Meine Desserts sind anders, sollen überraschen. Ich würde sagen, die sollen erinnerungswürdig sein. Mein Ziel ist es, dass der Gast das auch nochmal alles im Dessert erlebt: Die einzelnen Aromen, deren Kombination und auch das Gesamtbild – das alles soll in Erinnerung belieben. Das ist für mich wie gute Unterhaltung…“

… also machst Du sozusagen „Entertastement“?
„Ja, könnte man so sagen (lacht).“

Wie kommst Du auf die Ideen, wie entsteht bei Dir ein Dessert?
„Ich plane das im Kopf oder auch als Mindmap. Ich fange immer mit der Hauptkomponente an. Beispiel: Ziegenquark. Dann überlege ich, was dazu passt. Nehmen wir Brombeere. Zum Quark als auch zur Frucht passt Rosmarin. Soll aber ein Dessert werden, also was Süßes – aber nicht so aufdringlich. Dann baue ich da gerne noch meinen kreativen Twist ein – alles natürlich immer schön entlang der sechs Geschmäcker. Dann überlege ich mir die Art der Zubereitung, Texturen, Temperaturen etc. Damit das Zusammenspiel auf dem Teller schließlich auch so funktioniert, baue ich das so, dass der Gast es genauso, wie von mir gewollt, essen muss. Das Ergebnis hier ist dann eine Mousse von Ziegenquark auf Rosmarin-Schokomalto mit Purple Curry.“

Du bist schon eher der Umami-Typ unter den Patissiers, oder?
„Eigentlich ja. Ich mag Kaffee, Tee, Kräuter – etwas Shiso oder Kapuziner – das hebt alles –, Käse und natürlich Schokolade. Ich denke, die Spitzenküche insgesamt und damit auch die Patisserie werden in Zukunft noch puristischer, erdiger, kräuteriger und naturbelassener sein. Kochstile verschmelzen und untypische Lebensmittel werden sehr kreativ kombiniert werden. Natürlich gehört auch immer Süß dazu, aber selbst in der Nachspeise muss das nicht mehr unbedingt die Hauptrolle sein. Bei mir ist das schon jetzt so – eher untypisch kombiniert, versteckt und eingebaut.“

Um gut zu essen, muss man demnächst nicht mehr essen gehen!

Anderes Thema: Corona und Lockdown. Ihr bietet als Sterneküche Take-away Menüs inkl. Pre- und Hauptdessert an. Was bedeutet das für Deinen Posten?
„Ich kann natürlich kein Eis machen. Auch ein Schaum hält sich nicht, wenn das Ganze erst noch ne Viertelstunde quer durch Köln gefahren werden muss. Ebenso die ganze Deko. Der ganze Aufbau und das Anrichten sind für To-go-Gerichte weniger spektakulär – muss halt transportabel sein. Insgesamt sind die Gerichte auch inhaltlich weniger komplex – einerseits, weil das häufig nur à la minute bzw. im Restaurant funktioniert, andererseits weil wir mit unserem Angebot auch mehr Leute ansprechen wollen. Darf halt nicht zu abgefahren sein., aber funktioniert bis jetzt ganz gut.“

Wie wird Corona die Gastronomie mittel- bis langfristig verändern?
„Aktuell ist die größte Herausforderung keine Planungssicherheit zu haben. Keiner weiß, wie lange der aktuelle Lockdown in dieser Form noch anhält. Auf die längere Sicht wird es, denke ich, schwer, das aufzuholen, was im letzten Jahr verloren gegangen ist. Sowohl finanziell als auch den Antrieb, bei allen Problemen, weiter zu machen und sich wieder neu aufzuraffen. Zum jetzigen Zeitpunkt also super schwer zu sagen. Ich glaube, die Leute werden weniger ins Restaurant gehen, werden beim Take-away bleiben – aber elitärer.“

Was meinst Du mit elitärer?
„Ich finde es faszinierend, mit welchen Mitteln die Gastronomie in so kurzer Zeit auf die Pandemie reagiert und Take-away und andere Angebote erstellt hat. Naja, und, um gut zu essen, muss man demnächst nicht mehr essen gehen. Wir sind doch das beste Beispiel. Wer hätte vor Corona gedacht, dass man ein 2-Sterne-Menü im Lieferservice bestellen und zuhause auf dem Sofa essen kann. Vielleicht geht das demnächst auch ohne Restaurant. Nur eine sehr gute Küche, die dann ausschließlich Spitzen-Take-away anbietet und To-go nicht nur als Alternative aus der Not heraus bietet.“

Vielen Dank.